Beunruhigende Nachrichten über eine Zunahme des Antisemitismus in Deutschland haben die beiden achten Klassen der Wellesweiler Gemeinschaftsschule kurz vor Ostern dazu veranlasst, der jüdischen Synagoge Saarbrücken einen Besuch abzustatten. Den äußeren Rahmen boten zwei Projekttage zum Gedenken an den 2011 verstorbenen Namensgeber und Holocaustüberlebenden Alex Deutsch.

Für die meisten Schüler, die erst nach dem Tod von Alex Deutsch in die hiesige Schule eintraten, dürfte Antisemitismus als Inbegriff für den jahrhundertlang gepflegten und weltumspannenden Hass gegen Menschen jüdischen Glaubens eher ein trauriges Phänomen darstellen, das ihnen häufig im Unterricht und manchmal auch in den öffentlichen Medien begegnet. Aber so gut wie niemand mehr aus der Alex-Deutsch-Schule kennt einen Träger jüdischen Glaubens persönlich. Vor diesem Hintergrund entstand die Idee, sich gemeinsam mit dem Fördervereinsvorsitzenden Arno Schley und Alex Deutschs Witwe Doris auf Spurensuche zu begeben, um das Judentum an einer seiner authentischsten Stätten noch besser kennenzulernen. Begeistert zeigten sich die begleitenden Klassenlehrer Andrea Kockler, Anna Hergesell und Erich Hoffmann, dass am Ende sehr viele Schüler ihrer Klassen mit ausdrücklicher Genehmigung der Erziehungsberechtigten an der Expedition in die Landeshauptstadt teilnehmen durften, darunter erfreulicherweise viele muslimische Jungen und Mädchen aus den Bürgerkriegsregionen im nahen Osten, wo es in der Vergangenheit immer wieder auch zu kriegerischen Konflikten zwischen den in Israel beheimateten Juden und ihren arabischen Nachbarn gekommen war.

   

Als bewährter Dreh- und Angelpunkt der Synagogenführung erwies sich einmal mehr Benjamin Chait, der junge Kantor der architektonisch markanten, stets streng bewachten Einrichtung am Saarbrücker Beethovenplatz. Unverkennbar im Bemühen, Gott ehrfürchtig und in tiefer Demut zu dienen, gewann Chait mit Geduld und Humor, durch gekonnten Wechsel in Satzmelodie und Lautstärke und auch mithilfe einer ausgeprägten Mimik und Gestik die Herzen seines jungen Publikums im Sturm. Sehr beeindruckt zeigten sich die Jugendlichen bei der Vorstellung der Tora-Rollen, die der Kantor in feierlichem Ritus dem prächtig verzierten Toraschrein entnahm. Auf besondere Bitte der Achtklässler sang Chait sogar eine Passage aus der bibelähnlichen Tora vor, in hebräischer Sprache versteht sich. Unermüdlich und beinahe um keine Auskunft verlegen, beantwortete der Kantor Frage um Frage zu jüdischen Glaubensregeln, Lebensformen oder Essgewohnheiten. Manchmal auch in kategorischer Kürze, die auf eine tiefe religiösen Ergebenheit schließen ließ. „Es gibt dazu nur eine Antwort: Gott hat gesagt!“, reagierte der gebürtige Engländer beispielsweise auf die Frage des 14-jährigen Francesco, warum die Juden Fleisch und Milch nicht zusammen konsumieren dürfen. „Warum mögen sich Muslime und Juden nicht?“, wagte ein Mitschüler von Francesco den Schritt in ein brisantes Fahrwasser. „Woher weißt du das …., von Youtube?

   

Das stimmt ja gar nicht!“, reagierte Chait ungewöhnlich emotional auf diese „sehr gute“ Frage, die er als bezeichnend für den manipulativen Einfluss sozialer Medien und erwachsener Vorbilder auf die Meinungsbildung junger Menschen wertet. Dass allerdings auch hierzulande, fernab vom Krisengebiet Nahost, ein häufig problematisches Verhältnis zwischen Kriegsflüchtlingen muslimischen Glaubens und den länger hier ansässigen Juden aus den früheren Gebieten der UdSSR und dem übrigen Osteuropa besteht, hatten die Schüler im Rahmen ihres Projektes bereits einem kürzlich erschienenen Bericht der SZ über eine neue Dimension von Judenfeindlichkeit im Saarland entnehmen können. Ein Problem, das in Verbindung mit den gewohnten Anfeindungen und Straftaten aus der äußersten rechten Ecke, etwa in Form von Friedhofsschändungen und judenfeindlichen Schmierereien, aktuell ein besonderes Ausrufezeichen setzt. Was also tun, um diesem neu konfigurierten Antisemitismus wirkungsvoll entgegenzutreten? Doris Deutsch, die evangelische Witwe des jüdischen Holocaustüberlebenden und weithin geachteten Friedensbotschafters, erneuerte am Rand der Synagogenführung ihren dringenden Wunsch, dass die jüdische Gemeinde im Saarland noch offensiver den Schritt in die Mitte der Gesellschaft wagen und eine noch engere Kooperation mit den christlichen Kirchen und muslimischen Glaubensgemeinschaften, mit Verbänden und Vereinen anstreben möge. „Beginnen sollte man mit Jugendbegegnungen in den Schulen, gemeinsamen sportlichen und musischen Aktivitäten, aber auch mit fachlich geleiteten Diskussionsrunden“, ergänzte Lehrer Erich Hoffmann, der die Wellesweiler Schule aufgrund des jüdischen Namensgebers, aufgrund des kreiseigenen „Raumes der Begegnung“ und aufgrund einer hohen Heterogenität in der Schülerpopulation als „prädestiniert“ für ein entsprechendes Vorhaben erachtet.  Die Synagogenführung in Saarbrücken stand übrigens ganz im Fokus des Saarländischen Rundfunks, der mit einem Drehteam unter Leitung der Fernsehautorin Isabel Schaefer vor Ort war, um die Veranstaltung als Präventivbeispiel zur Abwehr neuer antisemitischer Strömungen in den Mittelpunkt eines umfassenden Beitrags zu rücken. Eine mediale Präsenz, die nach Beobachtung aller Beteiligten zum einen außerordentlich spannend und motivierend auf die Achtklässler wirkte, gleichzeitig aber auch in beruhigender Weise die Sensibilität der öffentlichen Wahrnehmung gegenüber einem unausrottbar scheinenden Antisemitismus bezeugt, der im nationalsozialistisch geführten Deutschland der dreißiger und vierziger Jahre den Holocaust und damit den grauenvollsten Genozid aller Zeiten auslöste.

   

Hintergrund: Nach einem Bericht der Saarbrücker Zeitung leben im Saarland derzeit nur noch knapp 1000 Menschen jüdischen Glaubens, davon etwa 98 Prozent aus den Gebieten der ehemaligen UdSSR und anderen Teilen Ost-Europas.

Aktueller-Bericht vom 29.03.2018 bei Minute 23: Fernsehbericht über Synagogenbesuch

Wir im Saarland – Das Magazin vom 29.3.2018 bei Minute 16: Fernsehbericht über Synagogenbesuch

 Bericht und Fotos:  Erich Hoffmann