Sie ist eine gebürtige Wiebelskircherin, die ihre Heimat lediglich als Kind unter Kriegszwang und später nur noch zu ganz besonderen Anlässen verlassen hat. Doris Deutsch, die bodenständige Saarländerin, Zeitzeugin und Witwe des Auschwitz-Überlebenden und späteren Friedensbotschafters Alex Deutsch, vollendet am 29. Juni 2017 ihr 80. Lebensjahr.

Als Doris Deutsch, geborene Kurz, im Jahr 1937 mitten in der Aufrüstphase des nationalsozialistisch geprägten Deutschlands das Licht der Welt erblickte, hatten ihre späteren Ehemänner Karl Löb und Alex Deutsch, beide jüdischen Glaubens und im Verlauf ihrer KZ-Haft zu befreundeten Schicksalsgefährten geworden, den bodenlosen Hass, die Ausgrenzung und Barbarei der Nazi-Behörden schon in voller Bandbreite zu spüren bekommen. Während Doris als Sechsjährige vom Vater im Frühsommer 1944 aus Gründen einer höheren Sicherheit ins ländliche Esslingen nahe Stuttgart zu den Großeltern geschickt wurde, waren die deutlich älteren Karl Löb und Alex Deutsch im Vernichtungslager Auschwitz schon längst dem Holocaust ausgesetzt, der für sie persönlich mit der Ermordung ihrer Ehefrauen und des zweijährigen Sohnes von Alex Deutsch einen unfassbar grausamen Höhepunkt erreicht hatte. Aber auch die kleine Doris musste inmitten der schwäbischen Idylle die Schrecken des Krieges erfahren. Der Anblick von vier toten Spielfreunden, die bei einem Fliegerangriff auf Esslingen starben, bereitete ihr noch viele Jahre Albträume. Besonders schlimm wurde die Siebenjährige jedoch vom Tod des geliebten Vaters Ernst getroffen, der am 10. Oktober 1944 als Wehrmachtsangehöriger unter dramatischen Umständen an der Scheldemündung in den Niederlanden gefallen war.

   
Die Rückkehr nach Wiebelskirchen erfolgte erst nach Kriegsende, wo Doris ihre weitere Kindheit und Jugend als Halbwaise unter den ohnehin schwierigen Bedingungen der Nachkriegszeit verbrachte. Gleich nach der Schule arbeitete sie in einer Neunkircher Nähschule, während ihre alleinerziehende Mutter Hilde, eine gelernte Hutmacherin, die Haushaltskasse durch einen Nebenjob im Wiebelskircher Kino aufbesserte. Dort führte der Zufall die junge Doris Kurz mit dem Holocaustüberlebenden Karl Löb aus Quierschied zusammen, der unter den physischen und psychischen Verletzungen des frühen Naziterrors im Saarland und unter mehreren KZ-Inhaftierungen von 1938 an zeitlebens zu leiden hatte. 1958 heirateten die beiden. Karl Löb, der über seine traumatischen Erfahrungen in den verschiedenen Konzentrationslagern nie zu reden vermochte, starb 1971 und wurde auf dem jüdischen Friedhof Neunkirchen beigesetzt, dort, wo auch Alex Deutsch seine letzte Ruhestätte gefunden hat. 1977 trat Alex Deutsch, der zu jenem Zeitpunkt bereits über 30 Jahre als Geschäftsmann in St. Louis/Missouri gelebt und die amerikanische Staatsbürgerschaft erworben hatte, in Briefkontakt zu seiner späteren Frau Doris. Als Zeuge des Leidensweges von Karl Löb war seine Hilfe bei der Berechnung der Witwenrente erbeten worden. Bei einer ersten persönlichen Begegnung mit Doris Löb im Jahre 1978 sollte es nicht bleiben. Noch im selben Jahr sorgten zunächst Sympathie und dann Liebe dafür, dass der gebürtige Berliner Alex Deutsch seinen Lebensmittelpunkt aus Amerika nach Wiebelskirchen verlegte. Die Hochzeit erfolgte 1983. Die ungewöhnliche Ehe der evangelischen Doris mit Alex Deutsch, der ebenso wie Karl Löb dem jüdischen Glauben angehörte, gestaltete sich einzigartig. 1985 begann die viel beachtete Aufklärungsarbeit von Alex Deutsch in den Schulen und währte bis 2011, dem Todesjahr des hochbetagten Ehegatten. Bei allen 565 Vorträgen begleitete und unterstützte Doris Deutsch ihren Mann. Dabei und im Verlauf unzähliger Zwiegespräche verinnerlichte sie die Lebensgeschichte des Ehepartners in einer so erschöpfenden Weise, als sei es ihre eigene.
Somit war die unprätentiöse und aufgeschlossene Wiebelskircherin in die Lage versetzt, ein feierliches Versprechen am Totenbett ihres verstorbenen Mannes einzulösen und seine Botschaft von Toleranz, Versöhnung und gewaltfreiem Miteinander in Kooperation mit dem früheren Lehrer Reinhold Strobel all den vielen Schulklassen und Erwachsenengruppen in so authentischer Weise zu vermitteln, dass ihr schon nach kurzer Zeit der seltene Status einer noch lebenden Zeitzeugin zuteilwurde.

   

Das aufklärerische Wirken und die Forschungsarbeit von Doris Deutsch, die ihren Ehemann dauerhaft an das Saarland band, ihm als Triebfeder für seine eigene missionarische Arbeit mit und an jungen Menschen diente, die ihn von den Resten eines lebenslangen Traumas weitgehend zu befreien vermochte und trotz manchen Rückschlags immer wieder zu seinen beeindruckenden Auftritten inspirieren konnte, blieb offiziellen Stellen nicht verborgen. Am 22. Februar 2017 wurde Doris Deutsch in der Saarbrücker Staatskanzlei der Saarländische Verdienstorden im Namen der Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer verliehen.

   
Ihren Geburtstag wird die Jubilarin mit vielen Gästen in einer Einrichtung feiern, die im Jahre 2001 nach ihrem zweiten Mann benannt wurde. Die Alex-Deutsch-Schule Wellesweiler ist Doris Deutsch mittlerweile zu einer zweiten Heimat geworden. Hier, im kreiseigenen Raum der Begegnung, ist die „Urgroßcousine“ des Hausherrn und Landrates Sören Meng immer dann zugegen, wenn offizielle Schulveranstaltungen bzw. Vorträge vor Schulklassen oder den unterschiedlichsten Gruppierungen des öffentlichen Lebens angesagt sind. Außerdem ist sie in den Vorständen der Alex-Deutsch-Stiftung und des Schulfördervereins vertreten und arbeitet eng mit Einrichtungen wie dem Adolf-Bender-Zentrum St. Wendel oder der Kriegsgräberfürsorge Saarland zusammen. Eine ganz besondere Beziehung besteht noch immer zum Saarpfalz-Gymnasium Homburg. Posthum und in enger Zusammenarbeit mit der Witwe veröffentlichte die dortige Arbeitsgemeinschaft „Geschichte“ u.a. ein beeindruckendes Gesamtwerk mit vielen Erinnerungen und Gedichten zum 100. Geburtstag von Alex Deutsch.
Die hohen Sympathiewerte für die unermüdliche Doris Deutsch basieren neben dem Einsatz in all den genannten Belangen aber auch auf einer großzügigen Spendentätigkeit und nicht zuletzt auf der Tatsache, dass sie vorzugsweise bei ihren Besuchen in der Schule neben Kaffee, Zucker und Milch häufig auch köstliche Backerzeugnisse mit sich führt. Ganz gewiss ein weiterer Bestandteil im Vermächtnis des gelernten Bäckers Alex Deutsch, der die zahlreichen Besucher, die sich früher schon im gastfreundlichen Haus des Ehepaares in der Wiebelskircher Römerstraße einfanden, oft genug mit leckerem Kuchen aus eigener Herstellung überrascht hatte.

   
Im Grunde möchte Doris Deutsch nicht viel Aufhebens um ihre Person, aber die jung gebliebene Zeitzeugin, passionierte Erzählerin und weibliche Entsprechung des sprichwörtlichen „Hans Dampf in allen Gassen“ wird anlässlich ihres Ehrentages am 29. Juni mit vielen Gratulanten und einer großen Flut von Glückwünschen aus allen Teilen des Landes rechnen müssen.

 

Bericht: Erich Hoffmann
Fotos: Schule und privat